Kriminalisiert

Als Kriminalisierung wird in der Kriminologie der Prozess bezeichnet, mit dem Verhaltensweisen zu Kriminalität und die ausübenden Personen zu Kriminellen gemacht werden. Ein vorher legales Verhalten wird durch Gesetzgebung oder veränderte Anwendung bestehender Gesetze zu einem illegalen Akt.“ (Wikipedia: https:// de.wikipedia.org /wiki/Kriminalisierung)

Wo sind sie geblieben, Europas große Denker*innen? Ikonische Menschen, die punktgenau ihre verbalen Finger in die Wunden des Zeitgeistes legten, die akribisch soziale und politische Missstände analysierten und Werke verfassten und die Menschen ihrer Zeit aufrüttelten. Ich frage mich, wie sie sich heute äußern würden angesichts einer Politik, die zunehmend das Leben eines jeden Einzelnen einengt, die den Begriff der Freiheit missbraucht für Parteizwecke und die mit ihren Forderungen immer aggressiver und tiefer sich in die Privatsphäre ihrer Bürger*innen einmischt und eingräbt.

Dies geht mittlerweile so weit, dass Gesetze geschaffen werden oder in Planung sind, die Bürger*innen kriminalisieren, nur weil sie einkommensschwach, nicht kapitalkräftig und altersbedingt oder vom Einkommen her nicht kreditwürdig sind, um den gesetzlichen Forderungen zu entsprechen.

Genau das tut unsere derzeitige Regierung. Sie kriminalisiert Tausende (wenn nicht Millionen) Menschen z. B. durch das Gebäudeenergiegesetz und niemand schreit „STOP“. Ganz besonders beteiligt sich auch die EU an dieser Kriminalisierung (siehe Gebäudeenergieeffizienz-Forderungen bis 2030 bzw. 2033).
Ähnliches wird geplant mit dem Aus von Fahrzeugen, die fossile Energie verbrennen. Weitere Gesetze und Verordnungen werden folgen. Alles wird unter dem Deckmantel des „Klimaschutzes“ vorgetragen und durchgesetzt und das obwohl politisch gewollt weiterhin Flächenversiegelung vorangetrieben wird, Windparks wertvolle Naturräume zerstören werden, insgesamt der Natur- und Umweltschutz keine besondere Beachtung findet und auch die staatlich geförderte CO2-Erzeugung in (verglichen mit allen Privat- und Mietshaushalten im Land) unverhältnismäßig großem Umfang weiterläuft.

Ich weiß nicht, was sich hinter derartigen politischen Bestrebungen verbirgt, Menschen, die arm sind oder wenig Geld haben, zu Kriminellen zu deklarieren. Gedankenlosigkeit? Absicht?
Betroffen sind Gewerbetreibende, Firmeninhaber*innen, Eigentümer*innen und auch Mieter*innen, sollten sie durch diese Gesetze gestiegene Mietforderungen nicht nachkommen können und daher vertragsbrüchig werden. Betroffen sind alle Menschen, die zu wenig Geld haben, den Gesetzen Genüge zu tun. Es ist ein Faustschlag ins Gesicht all derer, die arm sind oder in Nähe der Armutsgrenze leben, sich aber nie etwas zu Schulden haben kommen lassen.

Was ist aus dem Staat, in dem wir derzeit leben, nur geworden? Aufgewachsen und zur mündigen Bürgerin geworden, politisch und sozial engagiert und interessiert, habe ich in einer Welt der relativen Freiheit gelebt. Ich wähnte mich in Sicherheit, weil unsere Staat demokratisch geordnet scheint und Politiker*innen aller Couleur sich bis vor Kurzem nie erdreisteten, Menschen in ihrem persönlichen Leben einzuschränken. Gesetze wurden in der Vergangenheit nur dann gestaltet, wenn es absolut notwendig war, um Missstände in der Gesellschaft einzudämmen (z. B. Gleichbehandlungsgesetz). Die Benachteiligten solcher Gesetze waren dann eine kleine Minderheit, nicht aber Millionen Menschen eines Landes.

Dass nun Gesetze geschaffen werden (und es werden gefühlt immer mehr solcher Gesetze), die einen großen Prozentsatz der Bevölkerung einfach so in die kriminelle Ecke schieben, ist wahrlich eine Sache, die mich äußerst nachdenklich stimmt. Es geht nicht nur um Heizen, es geht mittlerweile auch um Sprache, um Mobilität, um Wohnen, um Besteuerung und anderes. Ich wusste nicht, wie ich diese politischen Exzesse bezeichnen sollte, da ich ja immer noch an unsere Demokratie und an unseren (bisherigen) Rechtsstaat glauben möchte.
Aber nun fand ich das, was mich umtrieb und das ich zu beschreiben versuchte. Es ist der Begriff „Kulturelle Hegemonie“, den Antonio Gramsci (1891–1937) prägte und definierte. Ich selbst habe einiges über Antonio Gramsci gelesen, nicht aber sein Werk. (Vielleicht sollte ich das doch einmal tun.)

(„Unter Hegemonie versteht man die zugerechnete oder eingenommene Führungsrolle oder Priorität einer gesellschaftlichen Institution (eines Staates, einer Organisation) oder eines ähnlichen Akteurs in politischen, militärischen, wirtschaftlichen, sozialen, religiösen oder kulturellen Angelegenheiten.“ Wikipedia: https:// de.wikipedia.org/wiki/Hegemonie)

Es geht um Staat, Zivilgesellschaft und um die Frage: wer hat bzw. erhält die Macht über die Gesamtgesellschaft.
Wir leben derzeit in einer sogenannten Demokratie, in einem freiheitlich-liberalen Gesellschaftssystem, das eine Vielzahl an Verhaltensweisen, Meinungen und Lebensstrategien zulässt. Wir leben in einer offenen Gesellschaft.
Diese offene und liberale Gesellschaftsform setzt Gramsci in Bezug zu Zivilgesellschaft und Staat. Der Staat bzw. die von der Zivilgesellschaft gewählten Politiker*innen sind Vertreter*innen der Macht über die Zivilgesellschaft. Um in einer offenen Gesellschaft eine Machtposition durchzusetzen, muss der Staat als Ausübender der Macht die Zivilgesellschaft so beeinflussen, dass ein Konsens (Zustimmung) erwirkt wird für Themen oder Pläne, die der oder die Machthabende durchsetzen will.
Antonio Gramsci vergleicht die Zivilgesellschaft mit einer Befestigungsanlage, der Staat und die herrschende Gesellschaftsschicht bilden die Zitadelle.

Der Philosoph und Schriftsteller Nikodem Skrobisz (auch Leveret Pale), der Gramscis Theorie „Kulturelle Hegemonie“ im „Freiheitslexikon“ hervorragend zusammenfasste, beschreibt diesen Prozess wie folgt:
„Die Hegemonie kann der Staat (oder die Gruppe, die nach Macht strebt) nicht direkt verordnen, sondern sie muss errungen und aufrechterhalten werden, denn sie ist alles andere als statisch und ständig im Fluss. Das Schlachtfeld um Hegemonie ist dabei vor allem die Zivilgesellschaft, deren Institutionen Gramsci metaphorisch als gewaltige kulturelle und ideologische Schützengräben und Befestigungsanlagen beschreibt, die der Zitadelle der eigentlichen Macht, der herrschenden Schicht und dem Staat, im physischen wie im metaphorischen Sinne vorgelagert sind. Um die Zitadelle der Macht, den Staat, erobern oder stürzen zu können, müssen zuerst die Befestigungsanlagen der Zivilgesellschaft eingenommen werden“ (Aus: freiheitslexikon.de – AKTIVISMUS / POLITIKWISSENSCHAFTEN / SOZIOLOGIE / THEMA, „Kulturelle Hegemonie“ von Nikodem Skrobisz).

Skrobisz führt weiter aus:
„Durch kollektive Aktionen, Publikationen und Mitarbeit in etablierten und neu geschaffenen Institutionen müssen wichtige Kultureinrichtungen und der Diskurs infiltriert werden, um von dort aus die eigene Ideologie in die Gesellschaft zu bringen. Sobald die öffentliche Meinung dominiert und die Hegemonie der eigenen Kultur etabliert wurde, kann ein Umsturz der bestehenden Verhältnisse durch Revolution oder Wahlen und eine Übernahme der Regierung erfolgen. (…)

In der entwickelten, westlichen Welt hingegen mit einer starken bürgerlichen Gesellschaft, in der der Staat nicht nur politische Macht, sondern auch eine starke kulturelle Macht hat, ist eine wie auch immer geartete Revolution nicht ohne weiteres möglich. Wenn man die herrschenden Verhältnisse beziehungsweise den Staat einnehmen oder stürzen will, ist das in den entwickelten Gesellschaften nur durch eine Transformation der allgemeinen Vorstellungen der Menschen und die Eroberung der kulturellen Hegemonie möglich. Man muss den Glauben der Mehrheit an den bestehenden Staat brechen und einen eigenen alternativen Glauben verbreiten. Eine soziale Gruppe muss mit ihren Ideen führend sein und die kulturelle Macht erlangen, bevor sie die politische Macht erlangt.“ (Aus: freiheitslexikon.de – AKTIVISMUS / POLITIKWISSENSCHAFTEN / SOZIOLOGIE / THEMA, „Kulturelle Hegemonie“ von Nikodem Skrobisz)

Ist es das, was gerade in unserer Gesellschaft geschieht? Hat der Staat durch die Schaffung von Zustimmung der Zivilgesellschaft zu bestimmten Zielen (z. B. „Klimarettung“) nun die Macht zumindest in diesem Bereich vollends übernommen und übt nun den Zwang (durch Gesetzgebung) aus, den er benötigt, um seine Macht vollends zu entfalten?
Werden Menschen nun deshalb kriminalisiert, weil sie die Ziele der Machthabenden nicht erfüllen können (selbst wenn sie wollten)?
Gramsci schrieb hierzu: „Staat = politische Gesellschaft und Zivilgesellschaft, das heißt Hegemonie, gepanzert mit Zwang.“ (Antonio Gramsci, Gefängnishefte, Heft 4, § 88).

Es liegt in der Hand eines Staates, Gesetze zu verabschieden, zu verändern oder zu streichen. Gesetze sind ein probates Mittel, Machtansprüche durchzusetzen und Unerwünschtes zu kriminalisieren. In einem totalitären Staat erwartet man nicht unbedingt soziale Gerechtigkeit. Aber in einer freiheitlich-liberalen Gesellschaft steht soziale Gerechtigkeit allein durch die sozialen Ansprüche der Zivilgesellschaft an oberster Stelle.
Wie konnte es dazu kommen, dass unser Staat nun soziale Gerechtigkeit nicht mehr berücksichtigt, nur um bestimmte Ziele zu erreichen? Klimatheorie versus Menschlichkeit?

Gramsci beschreibt den Prozess der Machtübernahme bzw. den hegemonialen Prozess des Erreichen von Macht sehr gut.
Staat und Zivilgesellschaft sind nicht trennbar, denn ohne Zivilgesellschaft hat der Staat keine Macht. Insofern muss der Staat dafür sorgen, dass seine Forderungen akzeptiert werden und somit als Autorität anerkannt wird. Der Staat sorgt dafür durch kulturelle Prägung. Erst wenn die Ideologien des Staates in der Mehrheit der Gesellschaft angekommen sind, gehorchen die Menschen ihrem Herrscher und hinterfragen die Maßgaben des Machtinhabers nicht mehr. Die Mehrheit der Gesellschaft ist überzeugt davon, „in der besten aller möglichen Welten (zu) leben“ (Zitat Nikodem Skrobisz, Freiheitslexikon) und dagegen zu arbeiten, führt schlimmstenfalls zu einer Verschlechterung der Lebensumstände.

Insofern werden z. B. das Gebäudeenergiegesetz und die Forderungen der EU nach einem höheren Energieeffizienzstandard sowie die damit einhergehende Kriminalisierung der Einkommensschwachen in unserem Land von der Mehrheit der Bevölkerung weder hinterfragt noch angezweifelt. Seit Monaten wurden wir von Medien, politischen Vertreter*innen aber auch von Aktivist*innen täglich auf die Brisanz des Klimawandels (die ich i. Ü. nicht abstreite) aufmerksam gemacht. Nach dem Motto „steter Tropfen höhlt den Stein“ wurde durch diese permanente Beeinflussung ein gesellschaftlicher Konsens geschaffen, der so ziemlich alle Maßnahmen des Staates bzw. der momentan regierenden Parteien zur „Rettung des Klimas“ gutheißt. Der Weg zu sozialer Ungleichheit und Ungerechtigkeit, zur Kriminalisierung der Einkommensschwachen wurde frei gemacht. Die wohlhabende Zivilgesellschaft schloss sich mehrheitlich dem Staat an, ohne die Auswirkungen auf die Einkommensschwachen zu hinterfragen oder zu kritisieren. Kritik kam fast ausschließlich nur von den rechten Parteien. Weil aber ein weiterer Konsens durch die Herrschenden errungen wurde: „Keine Zusammenarbeit mit rechten Parteien.“ führte dieser Konsens zum Mundtod der Zivilgesellschaft und auch von Gegenparteien der Herrschenden bzw. dazu, dass nichts kritisiert werden darf, was die Rechtsgerichteten ebenfalls kritisieren oder gutheißen könnten. (Man erinnere an dieser Stelle Thüringen und der medialen und politischen Klamauk um die Abstimmung der CDU und AFD).
Ein fataler Konsens, der zur Benachteiligung ganzer Bevölkerungsschichten führt, nämlich zur Kriminalisierung kapitalschwacher Menschen per Gesetz und politischen Willen.

Nikodem Skrobisz erläutert zu solchen Vorgängen:
Die kulturelle Hegemonie und deren Prozesse lassen sich dabei als Produktion dieser impliziten Ideologie und Ideen auffassen. Diese Hegemonie bildet und erhält sich selbst durch die Hegemonieapparate des Staates, aber auch der Zivilgesellschaft, wie zum Beispiel Schulen, Kirchen, Universitäten, Vereine und Massenmedien. Damit wirkt sich die Hegemonie nicht nur auf die unmittelbar politischen Bereiche des Lebens aus, sondern als kulturelle Macht auch auf die Sitten, die Sprache, die Traditionen, die Werte und sogar das, was man als gesunden Menschenverstand bezeichnet. Sie bestimmt, was denkbar ist und was nicht – die berühmte Box also, außerhalb jener die Kreativen zu denken versuchen.
Durch diese kulturelle Macht kommt dem Staat eine spontane Zustimmung der Mehrheit der Bevölkerung zu einer bestimmten Weltsicht zugute, die seine politische Macht ermöglicht und die Werte der Herrschenden rechtfertigt. Das Herrschaftssystem des Staates (und für Gramsci auch das des Kapitalismus), in dem die Menschen leben, werde von der Mehrheit der Bevölkerung daher nicht als repressiv wahrgenommen, sondern als selbstverständlich oder zumindest als notwendiges Übel, das es zu akzeptieren gilt.“
(Aus: freiheitslexikon.de – AKTIVISMUS / POLITIKWISSENSCHAFTEN / SOZIOLOGIE / THEMA, „Kulturelle Hegemonie“ von Nikodem Skrobisz)

Und genau das ist im Begriff, mit unserer Gesellschaft zu geschehen bzw. geschieht gerade in unserem Land. In Folge entfernen wir uns immer mehr von einer liberalen und freiheitlichen, offenen Gesellschaft und unterliegen zunehmend einem Machtgefüge, das jeden Menschen in seinen ganz persönlichen Lebensbereichen weiter und weiter einschränkt.

„Eine liberale Gesellschaft kann sich gegen solche Angriffe nur verteidigen, wenn sie eine starke, freiheitlich gesinnte, aufgeklärte Zivilgesellschaft mit engagierten liberalen Intellektuellen hat, die eine liberale Hegemonie jeden Tag aufs Neue produzieren, liberale Ideen verbreiten und sich weder von Linken noch von Rechten einschüchtern oder verführen lassen. Oder wie es Gramsci treffend für die marxistischen Intellektuellen als Rat pointierte: „Man muss nüchterne, geduldige Menschen schaffen, die nicht verzweifeln angesichts der schlimmsten Schrecken und sich nicht an jeder Dummheit begeistern. Pessimismus des Verstandes, Optimismus des Willens.“ – (Gramsci, Gefängnishefte, Heft 28, §11).“.
(Aus: freiheitslexikon.de – AKTIVISMUS / POLITIKWISSENSCHAFTEN / SOZIOLOGIE / THEMA, „Kulturelle Hegemonie“ von Nikodem Skrobisz)

Wer ein wenig tiefer in Gramsci und die Kulturelle Hegemonie eintauchen möchte, dem empfehle ich die Ausführungen des Philosophen und Schriftstellers Nikodem Skrobisz (auch Leveret Pale) im Freiheitslexikon über Antonio Gramscis Theorie „Kulturelle Hegemonie“ zu lesen; siehe: https:// freiheitslexikon.de/kulturelle-hegemonie.

Weiterhin empfehle ich „Leveret Pale, die offizielle Seite des Schriftstellers Nikodem Skrobisz“ und sein Essay zum Liberalen Gramscismus: https:// leveret-pale.de/liberaler-gramscismus.

Originalquelle:
Gramsci, Antonio, Gefängnishefte: Kritische Gesamtausgabe in 10 Bänden, Argument Verlag mit Ariadne, 2019

Schlussbemerkung:
Sowohl linke als auch rechte politische Gruppierungen missbrauchen den großen Denker Antonio Gramsci inzwischen gerne für ihre politischen Zwecke und für ihr Machtstreben. Bei den Linken sind Gramscis Theorien inzwischen führend. Unter dem Begriff der „Politischen Korrektheit“ wird die moralische Beeinflussung der Zivilgesellschaft durch Vorgaben, was man denken oder sagen darf, vorangetrieben.
Aber auch rechtspolitische Vertreter*innen haben Gramscis Erkenntnisse entdeckt („Rechter Gramsciansmus“). Besonders die „Identitären“ machen sich Gramscis Theorie zunutze und integrieren sie in ihre politischen Strategien der Beeinflussung der Bevölkerung zu mehr Akzeptanz und Macht. (freiheitslexikon.de – AKTIVISMUS / POLITIKWISSENSCHAFTEN / SOZIOLOGIE / THEMA, „Kulturelle Hegemonie“ von Nikodem Skrobisz)

Einen großen Dank an Nikodem Skrobisz/Leveret Pale für die Zustimmung,
dass ich in diesem Blog seine Texte zitieren darf.

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