Lehmkünstlerinnen

Die Schornsteinwespe (Odynerus spinipes) ist eine besondere Baumeisterin in der Insektenwelt. Ihr Werkmaterial ist Lehm, den sie zu feinen künstlerischen Gebilden formt.

Die Gemeine Schornsteinwespe (Odynerus spinipes) gehört in die Ordnung der Hautflügler (Hymenoptera) und hier in die Familie der Lehmwespen (Eumenidae). Die Wespe ist etwa 9,5-12,5 mm groß. Sie zählt zu den Faltenwespen, lebt aber solitär.

Diese Schornsteinwespe lebt fast ausschließlich von den Larven des Luzerneblattnagers (Hypera postica), eines Rüsselkäfers, der wiederum von der als Tierfutter angebauten Luzernen existiert. Die Raupen des Rüsselkäfers werden von der Wespe gefangen, gelähmt und dann in eine Bruthöhle getragen. Hier dienen sie als Futter für die Wespenbrut.

Zwei Rüsselkäferraupen vor den Bruthöhlen

Schornsteinwespen bauen ihre Bruthöhlen überwiegend in Lösswänden, Hohlwegen, Steilufern von Gewässern und Abbruchkanten. In diesen Röhren werden anschließend Brutkammern gezimmert. Seltener werden die Brutröhren auch in ebenen Lössflächen, Lehmmauern oder Sandstein angelegt.
Um den Lehm aus der Röhre zu schaffen, bilden die Wespen kleine Lehmklümpchen und „stapeln“ sie außerhalb um die Brutröhre auf, wodurch dann ein als „Schornstein“ bezeichnetes Gebilde entsteht. Diese Schornsteine sind im oberen Teil gekrümmt und relativ locker geschichtet. Sie haben einen Durchmesser von ca. 1 cm und ragen bis zu 5 cm über das Eingangsloch der Röhre im Boden. Ein Regenguss spült die Bauten allerdings schnell wieder weg.

Die Brutkammern werden seitlich der Brutröhre gegraben. In eine Brutkammer wird ein Ei an einem Fädchen senkrecht hängend an der Decke der Kammer befestigt. Dem Ei werden später 10-30 gelähmte Rüsselkäferraupen beigefügt und dann die Kammer verschlossen. Sind alle Brutkammern gefüllt, dann wird die gesamte Brutröhre mit dem Schornsteinmaterial wieder verschlossen. Der Schornstein dient daher sozusagen als Baumateriallager. Um die Lehmarbeiten überhaupt herstellen zu können, benötigen die Wespen Wasser, das sie zur Baustelle transportieren, um den Lehm aufzuweichen.

Erwachsene Schornsteinwespen sieht man von Anfang Mai bis Ende Juli. Sie bilden nur eine Generation im Jahr.
Die Entwicklung der Larven verläuft sehr rasch und ist bereits nach einer Woche abgeschlossen. Dann verpuppen sie sich zu einem Kokon. Aber die fertigen Wespen schlüpfen erst im nächsten Jahr aus dem Bodenkammern, nachdem sie sich mühsam aus dem Lehm gegraben haben.

Schornsteinwespe klettert in ihren Schornstein

Die Gemeine Schornsteinwespe war früher in Deutschland häufig. Noch gilt sie nicht als gefährdet, ist aber inzwischen durch das zunehmende Verschwinden ihres Lebensraums  seltener geworden. Auch in Hessen gehen ihre Bestände zurück. Dies trug ihr den Risikofaktor „N“ ein.
(Definition Risikofaktor „N“: Arten, deren Vorkommen „abhängig von nicht langfristig gesicherten Naturschutzmaßnahmen“ sind. Dieser Risikofaktor wurde in der kommentierten Artenliste mit dem Buchstaben „N“ gekennzeichnet. Dies sind zum einen Arten, deren Populationen in besonderem Maße von einem sehr frühen Sukzessionsstadium abhängig sind, zum anderen aber auch Arten, die durch unsachgemäße Pflege der Naturschutzgebiete (z. B. falscher Mahdzeitpunkt, Überweidung) beeinträchtigt werden. Aus: Hessisches Ministerium für Umwelt, Energie, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Rote Liste der Faltenwespen Hessens (Hymenoptera Vespidae: Eumeninae, Polistinae, Vespinae) 1. Fassung (Stand 6. 6. 2013))

Übrigens: Von der Schornsteinwespe komplett abhängig ist die Bunte Goldwespe (Chrysis viridula), die ausschließlich auf die Schornsteinwespe spezialisiert ist. Die Goldwespe gräbt den verschlossenen Gang der Brutröhre und der Brutkammern wieder auf und legt in den Kokon der Schornsteinwespe ihr Ei ab.

Bunte Goldwespe mit Plünderungsabsichten

Es wäre wirklich schade, wenn die fleißige Architektin Schornsteinwespe und damit auch die hübsche Goldwespe aus unserem Land verschwinden würden. Daher wäre es durchaus sinnvoll – wie man am Beispiel meines Pflanzrings (der vor Regen geschützt an der Hauswand steht) sieht – der Gemeinen Schornsteinwespe in der Nähe von Äckern und Luzernefeldern einen geeigneten Lebensraum zu überlassen, der unbearbeitet und unbepflanzt bleibt.

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