Versteinert

Ich mag kaum noch in die Nachrichten schauen. Überall in der Welt herrschen Chaos, Gewalt, Wahnsinn und Zerstörung. Oder bilde ich mir das nur ein?
Vielleicht ist es auch nur eine Sinnestäuschung, die mir diese negativ aufgeladene Welt vorgaukelt. Vielleicht aber ist es auch die Wahrheit. Die einst sanfte Frühlingssonne brennt erbarmungslos und das ehemals frische Frühlingslüftchen mutierte zu einem alles vertrocknenden, rauhen Wind. Selbst die Wolkenformationen über dem Land haben sich verändert.
Waldbrände in Kanada, die noch in 1000 Kilometern Entfernung die Luft verpesten. Kriegsgeschehen und Terror auf nahezu allen Kontinenten. Untergehende Inseln, vergehende Wälder, sterbende Korallenriffe. Dämme brechen und überfluten riesige Landflächen, eben noch eisige Polkappen schmelzen und lassen die Meeresoberfläche steigen, Hitze und Dürre bedroht viele Erdregionen. Vernichtung macht sich breit und dringt bis tief in die Seele vor.
Alles nur Einbildung?
Ja, es gibt sie, die Mahner und Mahnerinnen, die sagen, wir müssen umkehren, die Vernichtung stoppen. Können wir denn noch umkehren und wohin? Der Wille zur Umkehr kommt viel zu spät. Die Apokalypse schlich schon vor Jahren heran. Niemand hielt sie auf. Kaum jemand nahm sie wahr.

Um mich herum lachen, scherzen fröhliche Menschen. Ihr Alltag, ihr Tun ist simpel. Ihre Welt wird von Ablenkung geprägt, von sinnfreien Aktivitäten, Hauptsache Entertainment von Mensch zu Mensch zu Mensch zu Mensch ohne Wahrnehmung der Zerstörung um sie herum.
Es sind dieselben Leute, die mich bereits vor einigen Jahrzehnten verunglimpften, weil ich meinen schattigen Rasen vermoosen ließ. Es sind die gleichen Menschen, die sich ob der Wildkräuter in meinem Garten empörten und ob meiner Verweigerung, Obstbäume gegen Ungeziefer zu spritzen. Es sind immer noch die gleichen Individuen, die Blattläuse vernichten, Mücken großflächig bekämpfen, Vogelschutznetze über Bäume spannen, Panik schieben wegen einheimischer Greiskräuter, wegen Schmetterlingsraupen, wegen Spinnen in der Wohnung, wegen Wespen auf der Terrasse. Es sind die, die Weichspüler bevorzugen und Bakterienvernichter im Putzmittel lieben. Es sind auch diejenigen, die nun auf Wärmepumpe und E-Auto setzen, um die Umwelt zu retten, und meinen, damit einen Freifahrtschein für die Vernichtung alles Störenden um sie herum zu haben. Sie kaufen Grillkohle aus Regenwaldholz, sitzen auf Teakholzstühlen auf der Terrasse und jetten im Urlaub in ferne Länder. Es sind die, die sich im Sommer den Baumarktpool mit Trinkwasser befüllen, die Gärten intensiv mit Wasser aus illegalen Brunnen auf ihrem Grundstück bewässern, die sich Mähroboter anschaffen, die Silvesterraketen und Böller abschießen, die Marderabwehrsysteme zum Schutz ihres Autos installieren, die Schneckenkorn und Ameisenköder auslegen, die Pestizide auf Gehwegen einsetzen und ungehemmt Essig und Salzlösungen gegen Wildkrautwuchs verschütten. Es sind die, die keine Vogelstimmen mehr wahrnehmen, weil ihr Gehör für ihre natürliche Umwelt nicht mehr geschult ist. Und es sind die, die lieber auf dem Handy daddeln statt ihre Umwelt wahrzunehmen, die Roggen nicht von Weizen unterscheiden können und eine Haferpflanze mit Hirse verwechseln.

Ich fühle mich am Rand einer Steilklippe stehen, unter mir Felsen. Es gibt kein Zurück, keinen Ausweg. Verharren scheint die einzige Möglichkeit zu sein, dem Fall zu entgehen. Mit dem Fels zu meinen Füßen verschmelzen, den Atem anhalten, versteinern.

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